Der Wind pfiff durch die endlosen Wüsten des alten Mesopotamiens, wo sich Legenden in den Schatten flüsterten und der Name Lilith eine Mischung aus Furcht und Ehrfurcht hervorrief. Ihre Geschichte begann am Anfang der Zeit, als die Götter die erste Frau erschufen – nicht aus Adams Rippe, sondern aus demselben Lehm, aus dem auch er geformt worden war.
Lilith war schön, klug und stolz. Sie sah Adam in die Augen und erkannte in ihm nicht ihren Herrn, sondern ihren Gefährten. Doch als er verlangte, dass sie sich ihm unterordnete, weigerte sie sich. Sie wollte nicht knien, nicht gehorchen, sondern gleichberechtigt an seiner Seite stehen. Adam aber bestand auf seinem Vorrang, und so verließ Lilith das Paradies und suchte Zuflucht in der Wildnis.
In der Dunkelheit der verborgenen Orte begegnete sie Dämonen und Geistern, lernte ihre Sprache und ihre Macht kennen. Die Engel kamen zu ihr, gesandt von Gott, um sie zurückzubringen, doch Lilith lehnte ab. Sie schwor, nie in Knechtschaft zu leben, selbst wenn es bedeutete, in der Finsternis zu verweilen. Zur Strafe wurde ihr auferlegt, dass ihre Kinder sterben würden, doch auch das nahm sie hin – und wurde zur gefürchteten Mutter der Nacht.
Jahrhunderte vergingen, und aus der Legende wuchs ein Mythos. Man sagte, Lilith schleiche in der Nacht umher, raube Kinder und verfluche Männer, die sie verschmähten. Doch manche Frauen beteten zu ihr, suchten ihre Stärke und lehnten sich gegen die Fesseln der Gesellschaft auf. Lilith wurde zur Göttin der Unabhängigen, zur Herrin der Schatten, zur Stimme derer, die keine hatten.
Eines Tages jedoch, so erzählt man, wird Lilith aus der Dunkelheit treten und der Welt ihre wahre Gestalt zeigen – nicht als Dämon, sondern als die erste Frau, die nie ihren Stolz verlor. Und wenn der Wind in der Nacht durch die Bäume fährt, kann man vielleicht ihr Lachen hören, getragen von einer uralten, ungebrochenen Macht.