Es ist 5:30 Uhr, mein Wecker klingelt. Ich drücke ihn aus, schließe für einen Moment die Augen und atme tief durch. Der Gedanke an die bevorstehende Frühschicht lässt mich nicht mehr einschlafen. Ich stehe auf, trinke schnell einen Kaffee und mache mich auf den Weg ins Krankenhaus. Der Morgen ist noch dunkel, die Straßen sind leer – fast schon friedlich. Doch in meinem Kopf kreisen bereits die Gedanken: Wie wird der Tag? Welche Herausforderungen warten heute auf mich?
Der Schichtbeginn: Ein Sprung ins kalte Wasser
Kaum angekommen, ziehe ich schnell meine Arbeitskleidung an, stecke mein Namensschild an und mache mich auf den Weg zur Übergabe. Die Nachtschicht gibt uns einen Überblick über die Ereignisse der letzten Stunden. Notfälle, neue Patienten, kritische Situationen – es gibt immer etwas, das unsere volle Aufmerksamkeit erfordert. Manchmal ist es schwer, sich auf alles gleichzeitig zu konzentrieren, vor allem wenn das Team wegen Unterbesetzung am Limit arbeitet.
Heute sind wir wieder zu wenige. Zwei Kolleginnen sind krankgemeldet, und die Station ist voll belegt. Ich spüre, wie sich eine leichte Anspannung in mir breitmacht. Aber ich schiebe den Gedanken beiseite – es nützt nichts, sich jetzt schon Sorgen zu machen. Stattdessen nehme ich mein Klemmbrett, überprüfe die Aufgabenliste und beginne mit meiner Runde.
Die Patienten: Menschen mit Geschichten
Jeder Patient ist anders, jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Da ist Frau M., eine ältere Dame, die nach einer Hüftoperation wieder mobilisiert werden soll. Sie lächelt mich an, als ich ihr Zimmer betrete, und bedankt sich für meine Hilfe. Solche Momente geben mir Kraft. Doch nicht alle Begegnungen sind so leicht.
Im nächsten Zimmer liegt Herr K., ein junger Mann, der nach einem schweren Verkehrsunfall bei uns ist. Seine Verletzungen sind schwerwiegend, und er wird voraussichtlich nie wieder ohne Hilfe gehen können. Während ich seine Vitalwerte überprüfe, versucht er, mit mir zu sprechen. Seine Stimme bricht, als er von seinen Ängsten erzählt. Ich nicke, höre zu und versuche, ihm Mut zuzusprechen – doch innerlich spüre ich, wie mich seine Worte treffen. Es fällt mir schwer, diese Schicksale nicht an mich heranzulassen.
Das ist eine der größten Herausforderungen in meinem Beruf: Die Balance zwischen Mitgefühl und professioneller Distanz zu finden. Wenn ich alles an mich heranlassen würde, könnte ich diesen Job nicht lange machen. Aber manchmal gelingt es mir einfach nicht, den emotionalen Schutzschild hochzuhalten.
Der Schichtdienst: Ein Leben im Ausnahmezustand
Der Vormittag vergeht wie im Flug. Medikamente verteilen, Verbände wechseln, Gespräche mit Ärzten führen – der Rhythmus ist hektisch und lässt kaum Zeit zum Durchatmen. Gegen Mittag merke ich, wie mein Magen knurrt. Doch bevor ich eine Pause machen kann, klingelt das Telefon: Ein Notfall auf einer anderen Station benötigt unsere Unterstützung.
Schichtdienst bedeutet oft, dass man die eigenen Bedürfnisse zurückstellt. Es gibt Tage – oder Nächte –, an denen ich kaum dazu komme, etwas zu essen oder auch nur kurz durchzuatmen. Mein Schlafrhythmus ist völlig durcheinander. Früh-, Spät- und Nachtschichten wechseln sich ständig ab, und manchmal weiß ich gar nicht mehr, welcher Wochentag gerade ist.
Auch mein Privatleben leidet darunter. Freunde treffen? Familie besuchen? Das funktioniert nur selten spontan. Oft muss ich Verabredungen absagen oder verschieben. Und trotzdem liebe ich meinen Beruf – auch wenn er mich manchmal an meine Grenzen bringt.
Unterbesetzung: Arbeiten am Limit
Die Unterbesetzung ist eines der größten Probleme in unserem Krankenhaus – und leider keine Ausnahme in der Pflegebranche. Wir arbeiten oft mit minimaler Besetzung, was bedeutet, dass jeder von uns mehr Aufgaben übernehmen muss, als eigentlich zumutbar ist. Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, nur noch zu funktionieren. Die Patienten verdienen unsere volle Aufmerksamkeit und Fürsorge – doch wie soll man das leisten, wenn die Zeit einfach nicht reicht?
Manchmal fühle ich mich wie ein Jongleur auf dünnem Eis: Ich versuche, alles im Gleichgewicht zu halten, während unter mir der Boden zu brechen droht. Und trotzdem mache ich weiter – weil ich weiß, dass jeder von uns gebraucht wird.
Der Feierabend: Eine kurze Atempause
Als meine Schicht endet, ziehe ich erschöpft meine Arbeitskleidung aus und mache mich auf den Heimweg. Es ist bereits dunkel draußen, und die Kälte beißt in mein Gesicht. In meinem Kopf laufen die Ereignisse des Tages wie ein Film ab. Habe ich alles richtig gemacht? Hätte ich irgendwo mehr tun können? Diese Fragen begleiten mich oft bis in den Schlaf.
Zu Hause angekommen, lasse ich mich aufs Sofa fallen und schalte den Fernseher ein – nicht, um wirklich etwas zu schauen, sondern um meinen Kopf für einen Moment abzuschalten. Doch selbst dann denke ich oft an meine Patienten: an Frau M., die morgen wieder ihre ersten Schritte versuchen wird; an Herrn K., der noch einen langen Weg vor sich hat.
Warum ich trotzdem weitermache
Trotz all der Herausforderungen gibt es etwas in diesem Beruf, das mich antreibt: Das Wissen, dass ich einen Unterschied machen kann – auch wenn er manchmal klein erscheint. Ein Lächeln von einem Patienten, ein Dankeschön von einer Familie oder das Gefühl, jemandem geholfen zu haben – das sind die Momente, die mich weitermachen lassen.
Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Beruf in der aktuellen Situation ausüben kann. Aber eines weiß ich sicher: Krankenschwester zu sein ist mehr als nur ein Job – es ist eine Aufgabe, eine Berufung und eine tägliche Herausforderung.
Und so werde ich auch morgen wieder früh aufstehen, meine Uniform anziehen und mein Bestes geben – für die Menschen, die auf uns angewiesen sind.