Die Nacht war still, doch für ihn war sie erfüllt von einer Flut neuer Eindrücke. Er stand mitten in einem verlassenen Park, die kühle Luft strich über seine Haut, und die Dunkelheit, die einst undurchdringlich gewesen war, erschien ihm jetzt wie ein offenes Buch. Er konnte jedes Blatt erkennen, das sich im Wind bewegte, jede noch so kleine Unebenheit auf dem Boden sehen. Es war, als hätte jemand einen Schleier von seinen Augen genommen. Doch trotz dieses Wunders fühlte er sich verloren.
Sein Name war Elias. Vor wenigen Stunden war er noch ein gewöhnlicher Mensch gewesen, ein einfacher junger Mann, der sich auf dem Heimweg von der Arbeit befand. Doch dann war alles anders geworden. Eine Begegnung in einer dunklen Gasse hatte sein Leben für immer verändert. Der Mann mit den glühenden Augen und der kühlen Stimme hatte ihn angesprochen, und bevor Elias wusste, wie ihm geschah, war er in eine neue Existenz gestoßen worden – die eines Vampirs.
Elias fühlte sich überwältigt. Seine Sinne waren geschärft, seine Gedanken wirbelten durcheinander, und der Durst – dieser unaufhörliche Durst – brannte in seiner Kehle. Er wusste nicht, wohin er gehen oder was er tun sollte. Doch genau in diesem Moment trat sein Erschaffer aus den Schatten.
„Du bist verwirrt, nicht wahr?“ fragte der Mann mit einem leichten Lächeln. Seine Stimme war ruhig und seltsam beruhigend. „Das ist normal. Komm mit mir, Elias. Ich werde dir alles zeigen.“
Der Mann stellte sich als Adrian vor, ein Vampir, der schon Jahrhunderte auf dieser Welt wandelte. Er hatte Elias nicht zufällig ausgewählt – etwas an ihm hatte Adrian fasziniert, etwas in Elias’ Augen hatte ihn an sich selbst erinnert. Und so hatte Adrian beschlossen, Elias in die Welt der Vampire einzuführen.
„Zuerst“, begann Adrian und deutete auf die Dunkelheit um sie herum, „musst du lernen, deine neuen Fähigkeiten zu verstehen.“ Elias nickte unsicher, doch gleichzeitig spürte er eine seltsame Vorfreude. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.
Adrian zeigte ihm die übernatürliche Geschwindigkeit, die sie beide nun besaßen. „Lauf“, sagte er schlicht und deutete auf einen Baum in der Ferne. Elias zögerte kurz, doch dann spürte er eine plötzliche Energie durch seinen Körper strömen. Er rannte – oder besser gesagt, er schoss durch die Nacht wie ein Pfeil. Der Wind rauschte an ihm vorbei, und bevor er es realisierte, stand er bereits am Baum.
„Das… war unglaublich!“ rief Elias außer Atem, obwohl er merkte, dass er eigentlich gar nicht erschöpft war. Adrian lachte leise. „Das ist erst der Anfang.“
Als Nächstes demonstrierte Adrian die übermenschliche Stärke, die sie besaßen. Er hob einen großen Felsbrocken mühelos vom Boden und legte ihn vor Elias ab. „Versuch es“, forderte er ihn auf. Elias zögerte erneut, doch dann packte er den Stein mit beiden Händen. Zu seiner Überraschung fühlte sich der Fels leicht an – fast so leicht wie eine Feder. Er hob ihn ohne Schwierigkeiten über seinen Kopf und lachte vor Freude.
„Ich bin… stark!“ sagte Elias, fast ungläubig über das, was er gerade erlebt hatte. Adrian nickte zufrieden. „Und das ist noch lange nicht alles.“
Die Nacht verging mit weiteren Lektionen. Adrian zeigte Elias, wie er im Dunkeln sehen konnte – jedes Detail war so klar wie am Tag. Er erklärte ihm das außergewöhnliche Gehör eines Vampirs. „Schließe die Augen“, sagte Adrian und legte eine Hand auf Elias’ Schulter. „Konzentriere dich auf die Geräusche um dich herum.“
Elias tat wie geheißen und war überrascht von dem, was er hörte: das Rascheln von Blättern in der Ferne, das leise Tropfen von Wasser irgendwo in der Nähe und sogar das Flüstern des Windes durch die Bäume. Es war überwältigend und wunderschön zugleich.
Doch trotz all dieser Wunder gab es auch Schattenseiten. Adrian sprach offen mit Elias über den Durst nach Blut – eine Notwendigkeit für ihre Existenz – und die Einsamkeit, die manchmal mit dem ewigen Leben einherging. „Es ist kein einfaches Leben“, sagte Adrian ehrlich. „Aber es kann ein erfülltes sein, wenn du lernst, damit umzugehen.“
Elias hörte aufmerksam zu und spürte eine Mischung aus Angst und Hoffnung in sich aufsteigen. Ja, das Leben als Vampir würde anders sein – schwieriger in vielerlei Hinsicht –, aber es bot auch Möglichkeiten und Erfahrungen, die er sich nie hätte vorstellen können.
Am Ende der Nacht saßen sie beide auf einer Parkbank und blickten in den Himmel, der langsam heller wurde. „Du wirst dich daran gewöhnen“, sagte Adrian schließlich und legte eine Hand auf Elias’ Schulter. „Es wird Zeit brauchen, aber du bist nicht allein.“
Elias lächelte schwach und nickte. Zum ersten Mal seit seiner Verwandlung fühlte er sich nicht mehr hilflos oder verloren. Stattdessen verspürte er eine leise Aufregung – eine Vorfreude auf das, was vor ihm lag.
Die Sonne begann am Horizont aufzutauchen, und Adrian führte Elias zu einem sicheren Ort, wo sie sich vor dem Tageslicht schützen konnten. Während sie sich zurückzogen, dachte Elias an all das, was er gelernt hatte – an die Geschwindigkeit, die Stärke, das Gehör und die Klarheit seiner neuen Welt. Es war ein neuer Anfang für ihn.
Und obwohl er wusste, dass es nicht immer einfach sein würde, war er bereit für dieses Abenteuer – bereit für sein neues Leben als Vampir.